Der Mentor
Zwei Literaten treffen sich im Rahmen eines hochdotierten Kulturprojekts in einem abgeschiedenen Herrenhaus. Der angesehene Benjamin Rubin soll als Mentor mit dem jüngeren Kollegen Martin Wegner an dessen Theaterstück Namenlos arbeiten. Eine Woche intensiver Gedankenaustausch in der Natur, direkt am Froschteich, umsorgt vom rührigen Kulturfunktionär und verhinderten Maler Wangenroth. Schon bei der Ankunft machen sich die ersten Konflikte bemerkbar. Die beiden Schriftsteller begegnen einander nicht eben mit Sympathie und wissen eigentlich gar nicht, was sie miteinander anfangen sollen. Das einzige, was sie verbindet, ist die Freude am Honorar. Wegners Frau Gina allerdings ist eine glühende Verehrerin Rubins. Martins erwartete Ermutigung von Seiten des bestellten Mentors bleibt aus, der große alte Mann lässt sich auf keinerlei wohlfeile Beweihräucherung ein. Mit messerscharfer Argumentation entlarvt Rubin die Schwächen von Martins Drama, aber jeder Pfeil, den er gegen den jungen Kollegen abschießt, trifft ihn auch selbst, und zwar dort, wo es am meisten schmerzt: bei seinem fortgeschrittenen Alter. Hinter dem intellektuellen Streit tobt der Kampf zweier Männer um Anerkennung - nicht zuletzt um die der jungen Frau Martins. Ginas Begeisterung über das jahrzehntealte Erfolgsstück Rubins stürzt ihren Mann in tiefe Zweifel. Er bedrängt sie, ihm endlich ehrlich zu sagen, wie sie seine künstlerischen Qualitäten einschätzt. Die Antwort ist nicht die erhoffte, die Konfrontation gipfelt in der blindwütigen Zerstörung von Martins Manuskript samt Memory-Stick im Froschteich. Martin bringt mit seiner theatralisch inszenierten Abreise das Kulturprojekt beinahe zum Scheitern. Gina bleibt mit Rubin bei den Fröschen. Doch Martinwäre kein von sich selbst besessener Künstler, würde er sein Stück nicht noch vor der Liebe seiner Frau retten wollen, die inzwischen dem älteren, lange schon von ihr bewunderten Konkurrenten näher kommt. Der gebeutelte Jungdichter kehrt zurück. Und da die radikale Vernichtung in Zeiten digitaler Verewigung gar nicht so einfach ist, springt er waghalsig in den Teich und fischt sein Werk, schwer beschädigt, aber reparabel, wieder aus dem Schlamm. Das literarische Treffen geht zu Ende, das Ergebnis ist fragwürdig, das Honorar aber beiden sicher. Will ein Künstler wirklich die Wahrheit über sich hören, egal wie diese lautet? Die Ausgesetztheit des nach Bewunderung suchenden Künstlers macht ihn jedem subjektiven Urteil gegenüber bis ins Innerste angreifbar. Kehlmann konfrontiert zwei Egomanen, die in ihrer Selbstsucht und Empfindlichkeit Antipathie und Faszination auslösen: Der ältere besticht durch die radikale Verweigerung verordneter Meinungen und die unbeirrbare Lust an der ungeschönt ausgesprochenen Wahrheit. Der jüngere stößt zum ersten Mal an seine Grenzen und ist gefordert, sich selbst und alles, was er für sicher hielt, in Zweifel zu ziehen. Wer letztendlich der bessere Schriftsteller ist, und wer das denn überhaupt bestimmen könnte, bleibt offen. Eines haben Kehlmanns Dichter gemeinsam: ständig zu suchen und sich ihrer Qualität nie sicher zu sein.
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